Warum Führungskräfte gegenüber den Menschen und dem Planeten rechenschaftspflichtig sein müssen – und nicht nur gegenüber den Gewinnen

Das traditionelle Modell der Unternehmensführung, das auf dem Prinzip der Vorrangstellung der Aktionäre basiert, steht zunehmend im Widerspruch zu den Realitäten der modernen Wirtschaft und den Erwartungen der Gesellschaft. Angesichts des beschleunigten Klimawandels, der zunehmenden sozialen Ungleichheiten und des zunehmenden Stellenwerts des Stakeholder-Kapitalismus erscheint die einseitige Fokussierung auf die Maximierung des Shareholder Value nicht nur überholt, sondern potenziell destruktiv. Es ist an der Zeit, die Treuhänderpflichten von Direktoren grundlegend zu reformieren und ausdrücklich Verpflichtungen zum Umweltschutz und zur Einbeziehung weiterer Interessengruppen aufzunehmen.
Die Grenzen der Vorrangstellung der Aktionäre
Seit Jahrzehnten geht die Unternehmenswelt davon aus, dass die vorrangige – und oft einzige – treuhänderische Pflicht der Unternehmensleitung darin besteht, die Rendite für die Aktionäre zu maximieren. Diese Doktrin bietet zwar klare Leitlinien für die Entscheidungsfindung, hat jedoch zu einem System geführt, in dem Umweltzerstörung, Ausbeutung von Arbeitnehmern und Schädigung der Gemeinschaft als akzeptable externe Effekte im Streben nach Profit behandelt werden. Das Ergebnis ist eine Unternehmenslandschaft, in der kurzfristige finanzielle Gewinne oft auf Kosten der langfristigen Nachhaltigkeit und sozialen Verantwortung erzielt werden.
Diese enge Auslegung der Treuhänderpflicht hat sich bei der Bewältigung von Umweltproblemen als besonders problematisch erwiesen. Vorstände, die nach traditionellen Treuhandgrundsätzen arbeiten, könnten sich rechtlich daran gehindert fühlen, in Umweltschutz oder nachhaltige Praktiken zu investieren, wenn diese Initiativen keine unmittelbaren finanziellen Erträge für die Aktionäre bringen. Dies schafft ein strukturelles Hindernis für die Art von transformativen Veränderungen, die zur Bewältigung des Klimawandels und anderer Umweltkrisen erforderlich sind.
Das Geschäftsszenario für erweiterte Treuhandpflichten
Die Ausweitung der Treuhänderpflichten von Direktoren auf Umwelt- und Stakeholder-Aspekte ist nicht nur eine ethische Verpflichtung, sondern auch eine geschäftliche Notwendigkeit. Unternehmen, die Umweltrisiken nicht berücksichtigen, sehen sich zunehmendem regulatorischem Druck, Unterbrechungen der Lieferkette und Reputationsschäden ausgesetzt, die ihre langfristige Existenzfähigkeit erheblich beeinträchtigen können. Klimabedingte finanzielle Risiken, von physischen Schäden bis hin zu gestrandeten Vermögenswerten, stellen eine erhebliche Bedrohung für den Shareholder Value dar, die mit traditionellen Treuhandkonzepten nur schwer angemessen bewältigt werden kann.
Ebenso sehen sich Unternehmen, die die Interessen ihrer Stakeholder – Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Gemeinden – vernachlässigen, häufig mit Herausforderungen bei der Mitarbeiterbindung, Verbraucherboykotten und regulatorischen Gegenreaktionen konfrontiert, die letztlich die finanzielle Performance beeinträchtigen. Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass Unternehmen mit starken Stakeholder-Beziehungen besser in der Lage waren, die Krise zu überstehen, während diejenigen, die ausschließlich den Aktionären Priorität einräumten, häufig mit Instabilität in der Belegschaft und Gegenreaktionen der Gemeinden zu kämpfen hatten.
Untersuchungen zeigen immer wieder, dass Unternehmen mit starken Umwelt-, Sozial- und Governance-Praktiken (ESG) langfristig tendenziell besser abschneiden als ihre Mitbewerber. Dies deutet darauf hin, dass erweiterte Treuhänderpflichten nicht im Widerspruch zu den Interessen der Aktionäre stehen würden, sondern vielmehr einen umfassenderen Rahmen für den Schutz und die Steigerung der langfristigen Wertschöpfung bieten würden.
Rechtliche Wege für Reformen
Mehrere Rechtsordnungen haben bereits damit begonnen, Gesetzesreformen zur Ausweitung der Pflichten von Direktoren zu prüfen. Der britische Companies Act 2006 verpflichtet Direktoren, bei ihren Entscheidungen die Interessen von Mitarbeitern, Lieferanten, Kunden und der Gemeinschaft sowie die Auswirkungen auf die Umwelt zu berücksichtigen. Dies ist zwar ein Fortschritt, doch bleibt der Rahmen hinsichtlich der Frage, wie konkurrierende Interessen der Stakeholder ausgeglichen werden können, etwas unklar.
Ein wirksamerer Ansatz wäre eine ausdrückliche Gesetzesänderung, die die Verpflichtungen der Direktoren gegenüber der Umwelt und den Stakeholdern klar definiert. Dazu könnten folgende Anforderungen an die Direktoren gehören:
• Durchführung umfassender Umweltverträglichkeitsprüfungen für wichtige Geschäftsentscheidungen
• Messbare Ziele für die Umweltleistung und die Wertschöpfung für Stakeholder festlegen
• Regelmäßige Berichterstattung über Umwelt- und Stakeholder-Kennzahlen mit derselben Sorgfalt wie bei der Finanzberichterstattung
• aufzeigen, wie Umwelt- und Stakeholder-Aspekte in strategische Planungsprozesse integriert wurden.
Diese Verpflichtungen müssten mit Safe-Harbor-Bestimmungen einhergehen, die die Verwaltungsratsmitglieder vor Haftung schützen, wenn sie in gutem Glauben Entscheidungen treffen, die die Interessen der Aktionäre, der Umwelt und der Stakeholder in Einklang bringen. Dies würde die Verwaltungsratsmitglieder dazu ermutigen, einen ganzheitlicheren Ansatz für die Unternehmensführung zu verfolgen, ohne sie einem übermäßigen rechtlichen Risiko auszusetzen.
Herausforderungen bei der Umsetzung und Lösungen
Kritiker einer Ausweitung der Treuhänderpflichten verweisen häufig auf die Komplexität der Abwägung der Interessen verschiedener Interessengruppen und die Gefahr einer Lähmung der Entscheidungsfindung. Diese Bedenken sind berechtigt, aber nicht unüberwindbar. Klare regulatorische Leitlinien, Branchenstandards und Weiterbildungsprogramme können den Verwaltungsratsmitgliedern helfen, effektiv auf diese Komplexität zu reagieren.
Eine Lösung besteht darin, standardisierte Rahmenwerke für die Bewertung der Auswirkungen auf Stakeholder zu entwickeln, ähnlich wie bei bestehenden Finanzanalyse-Tools. Diese Rahmenwerke würden den Direktoren helfen, die potenziellen ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf systematische und quantifizierbare Weise zu bewerten. Berufsverbände könnten Zertifizierungsprogramme entwickeln, um sicherzustellen, dass Direktoren über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen, um ihre erweiterten Aufgaben zu erfüllen.
Ein weiterer Ansatz besteht darin, diese Verpflichtungen schrittweise einzuführen, beginnend mit großen börsennotierten Unternehmen und im Laufe der Zeit auf kleinere Unternehmen auszuweiten. Dies würde die Entwicklung bewährter Verfahren und die Verfeinerung der rechtlichen Rahmenbedingungen auf der Grundlage praktischer Erfahrungen ermöglichen.
Die Rolle der Durchsetzung und Rechenschaftspflicht
Erweiterte Treuhänderpflichten wären ohne wirksame Durchsetzungsmechanismen bedeutungslos. Die Aufsichtsbehörden bräuchten erweiterte Befugnisse, um die Einhaltung der Vorschriften zu überwachen und bei Verstößen sinnvolle Sanktionen zu verhängen. Dazu könnten Geldstrafen, die Aberkennung der Geschäftsführerbefugnis und Auflagen für Abhilfemaßnahmen gehören.
Interessengruppen, darunter Umweltorganisationen und Vertreter der Gemeinschaft, sollten befugt sein, abgeleitete Klagen gegen Direktoren einzureichen, die ihre Umwelt- und Interessengruppenpflichten verletzen. Dies würde einen direkten Mechanismus der Rechenschaftspflicht schaffen, der nicht ausschließlich auf der Durchsetzung von Vorschriften beruht.
Eine Vision für die Zukunft
Der Übergang zu erweiterten Treuhänderpflichten ist mehr als nur eine Rechtsreform – es handelt sich um eine grundlegende Neukonzeption des Unternehmenszwecks im 21. Jahrhundert. Unternehmen, die unter diesen Rahmenbedingungen tätig sind, wären besser in der Lage, nachhaltigen Wert für alle Stakeholder zu schaffen und gleichzeitig die drängenden ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen.
Dieser Wandel würde Innovationen im Bereich nachhaltiger Technologien vorantreiben, die Arbeitsbedingungen verbessern, Gemeinschaften stärken und zum Aufbau einer widerstandsfähigeren Wirtschaft beitragen. Die Direktoren, befreit von den künstlichen Zwängen der Vorrangstellung der Aktionäre, könnten Entscheidungen treffen, die verschiedene Interessen in Einklang bringen und zu langfristigem Wohlstand beitragen.
Der Weg in die Zukunft erfordert Mut seitens der Gesetzgeber, Engagement seitens der Wirtschaftsführer und Druck seitens der Interessengruppen. Aber die potenziellen Vorteile – eine nachhaltigere, gerechtere und prosperierende Zukunft – machen diese Reform nicht nur wünschenswert, sondern unverzichtbar. Die Frage ist nicht, ob wir uns diese Veränderungen leisten können, sondern ob wir es uns leisten können, sie nicht zu machen.
Die Zeit für schrittweise Veränderungen ist vorbei. Es sind mutige Maßnahmen hinsichtlich der Treuhänderpflichten von Direktoren erforderlich, um die Unternehmensführung an die Realitäten der modernen Welt und die Erfordernisse künftiger Generationen anzupassen.