Das Dilemma der Sorgfaltspflicht: Können Qualifizierungsteams die Komplexität der europäischen Lieferkettengesetzgebung bewältigen?

Die globale Handelslandschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, wobei die EU-Gesetzgebung zur Sorgfaltspflicht in der Lieferkette (SCDD) als eine der treibenden Kräfte auftritt. Diese ehrgeizige Initiative, deren schrittweise Umsetzung ab 2024 geplant ist, zielt darauf ab, Unternehmen für die Umwelt- und Menschenrechtspraktiken ihrer gesamten Lieferketten verantwortlich zu machen, unabhängig davon, wie weit diese geografisch entfernt sind. Bei diesem groß angelegten Vorhaben stellt sich jedoch eine entscheidende Frage: Können traditionelle Teams für die Qualifizierung von Lieferketten die Komplexität dieser neuen Landschaft effektiv bewältigen?
Seit Jahren spielen Qualifizierungsteams, die oft in Shared Service Centern angesiedelt sind, eine entscheidende Rolle bei der Überprüfung potenzieller Lieferanten. Sie prüfen Fragebögen sorgfältig und bewerten die Antworten auf ihre Übereinstimmung mit den Unternehmensstandards. Der weitreichende Geltungsbereich des SCDD – der Menschenrechte, Umweltschutz und Konfliktmineralien umfasst – erfordert jedoch einen weitaus differenzierteren Ansatz, insbesondere für Qualifizierungsteams, die es gewohnt sind, sich in erster Linie auf finanzielle Stabilität und betriebliche Effizienz zu konzentrieren.
Die sich ausweitende Risikomatrix
Die SCDD führt eine Vielzahl neuer Risikofaktoren ein. Qualifizierungsteams müssen sich nun mit Themen wie Zwangsarbeit, Ausbeutung von Kindern, Korruptionsbekämpfung, Informationssicherheit, Ressourcenerschöpfung und Umweltverschmutzung befassen – Themen, die oft spezielle Fachkenntnisse erfordern, die über ihre traditionellen Kompetenzen hinausgehen. Diese Komplexität kann Teams mit unzureichenden Ressourcen überfordern und möglicherweise zu oberflächlichen Bewertungen führen, bei denen wichtige Warnsignale übersehen werden. In vielen Fällen waren diese Teams nicht in der Lage, sich selbst und ihr Wissen so zu skalieren, dass sie dieser Komplexität gerecht werden konnten.
Die Übersetzungsfalle
In der heutigen globalisierten Welt arbeiten viele Lieferanten in Sprachen, die sich von der Muttersprache des Qualifizierungsteams unterscheiden. Diese Sprachbarriere kann erhebliche Hindernisse mit sich bringen. Die Verwendung von Fragebögen, die von potenziell unzuverlässigen Diensten oder maschinellen Übersetzungen übersetzt wurden, kann zu Missverständnissen, Fehlinterpretationen und letztlich zu ungenauen Risikobewertungen führen. Natürlich müssen nicht nur die Antworten auf den Fragebogen übersetzt werden, sondern auch die zugrunde liegenden Dokumente, die im Rahmen des Bewerbungsprozesses hochgeladen werden.
Das Dilemma der Kostensenkung
Auf der Suche nach Kosteneinsparungen lagern einige Unternehmen ihre Qualifizierungsteams an Shared Service Center in Niedriglohnregionen aus. Dies mag zwar finanziell sinnvoll erscheinen, bringt jedoch zusätzliche Herausforderungen mit sich. Diesen Zentren fehlt es oft an den regionalen Kenntnissen und dem kulturellen Verständnis, die für eine effektive Risikobewertung an verschiedenen Lieferantenstandorten erforderlich sind. Darüber hinaus kann die kulturelle Distanz zwischen dem Qualifizierungsteam und den Lieferanten zu Kommunikationsbarrieren führen und den Aufbau von Vertrauen erschweren – ein entscheidender Faktor für die Beschaffung zuverlässiger Informationen. Diese Teams sind zwar manchmal unabhängig, bestehen jedoch häufig aus Beschaffungsfachleuten, die möglicherweise nicht alle rechtlichen und Compliance-Best-Practices des Auswahl- und Qualifizierungsprozesses verstehen.
Die Risiken einer oberflächlichen Prüfung
Die Verwendung von Fragebögen zur Selbstbewertung (eine gängige Praxis bei traditionellen Qualifikationen) ist im Rahmen der SCDD besonders problematisch. Da überall die Gefahr von Greenwashing und Manipulation lauert, können diese Fragebögen allein versteckte ethische Probleme nicht aufdecken. Unabhängige, eingehende Audits durch qualifizierte Experten, die oft über den Rahmen von Shared Service Centern hinausgehen, sind unerlässlich, um den Schleier der Selbstdarstellung zu lüften und potenzielle Verstöße aufzudecken. Auch wenn dies möglicherweise nicht für alle Lieferanten angemessen oder möglich ist, wäre ein eingehendes Audit für einige von ihnen durchaus angebracht.
Der Weg zu verantwortungsbewusster Beschaffung
Wie können Unternehmen also sicherstellen, dass ihre Qualifizierungsteams für die Komplexität der SCDD gerüstet sind? Im Folgenden sind einige wichtige Schritte aufgeführt.
•Weiterbildung und Schulung
Investieren Sie in Schulungsprogramme, die Qualifizierungsteams mit Fachwissen in den Bereichen Menschenrechte, ökologische Nachhaltigkeit und Konfliktmineralien ausstatten. Dazu gehört auch die Entwicklung von Sprachkenntnissen und kulturellem Verständnis, die für das Lieferantennetzwerk des Unternehmens relevant sind.
•Priorisierung und risikobasierter Ansatz
Implementieren Sie einen risikobasierten Ansatz, bei dem die Ressourcen auf risikoreiche Lieferanten und Sektoren konzentriert werden, die durch detaillierte Risikokartierung und -analyse identifiziert wurden. Dies gewährleistet eine effiziente Ressourcenzuweisung und priorisiert die kritischsten Bereiche für die Sorgfaltspflicht. Obwohl Unternehmen angeben, einen risikobasierten Ansatz zu verfolgen, wenden die meisten diesen Ansatz in der Praxis nicht an. Sie fordern von denselben Lieferanten ohne nennenswerte Unterschiede immer dieselben Informationen an.
•Zusammenarbeit und Partnerschaften
Arbeiten Sie mit unabhängigen Wirtschaftsprüfern zusammen, die über Fachwissen in bestimmten Risikobereichen und Regionen verfügen. So können Sie externes Fachwissen nutzen und eine umfassendere Bewertung der Praktiken Ihrer Lieferanten sicherstellen.
•Technologie und Automatisierung
Nutzen Sie Technologie, um die Datenerfassung, -analyse und -berichterstattung zu optimieren. Dadurch können Sie Personalressourcen für komplexere Aufgaben freisetzen und die Gesamteffizienz des Due-Diligence-Prozesses verbessern. Überlegen Sie, wie KI die eingereichten Daten überprüfen und analysieren kann.
•Transparenz und Kommunikation
Fördern Sie eine Kultur der Transparenz und offenen Kommunikation innerhalb des Unternehmens. Ermutigen Sie die Mitarbeiter, potenzielle Verstöße gegen ethische Grundsätze zu melden, und schaffen Sie klare Kanäle, über die Bedenken hinsichtlich Lieferanten geäußert werden können.
Die SCDD ist nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern auch ein Weckruf für Unternehmen, ihren Ansatz zur Sorgfaltspflicht in der Lieferkette zu überdenken. Die Zeiten, in denen man sich auf oberflächliche Fragebögen und ausgelagerte Qualifizierungsteams verlassen konnte, sind vorbei. Unternehmen müssen in den Aufbau agiler und kompetenter Teams investieren, die in der Lage sind, sich in der Komplexität der neuen regulatorischen Landschaft zurechtzufinden. Dies erfordert ein Engagement für Weiterqualifizierung, risikobasierte Priorisierung, strategische Partnerschaften und technologische Innovation. Nur so können Unternehmen ihrer Verantwortung für ethische Beschaffung gerecht werden und widerstandsfähige, nachhaltige Lieferketten für die Zukunft aufbauen.
Dies ist nicht nur ein Aufruf zum Handeln für Unternehmen, sondern ein Aufruf zur kollektiven Verantwortung. Verbraucher, Investoren und politische Entscheidungsträger müssen Unternehmen für ihre Sorgfaltspflichten zur Rechenschaft ziehen, Anreize für eine verantwortungsvolle Beschaffung schaffen und Initiativen unterstützen, die einen ethischen und nachhaltigen Handel fördern. Gemeinsam können wir eine Welt schaffen, in der Lieferketten keine Kanäle für Ausbeutung sind, sondern Motoren für positive Veränderungen, angetrieben von einem gemeinsamen Engagement für Menschenrechte und Umweltschutz.